Baby im Steckkissen (Anton Peschka jr.) 1916
Bleistift auf Papier
46,2 x 29,5 cm
Signiert und datiert rechts unten: EGON SCHIELE 1916
Provenienz
Galerie Welz, Salzburg;
Marlborough Fine Art, London (seit Jänner 1969)
Privatsammlung London (seit März 1969)
Ausstellung
Galerie Welz, Salzburg 1968;
Marlborough Fine Art, London 1969
Literatur
Jane Kallir, Egon Schiele. The Complete Works, New York 1998, Wkv.Nr. 1815, m. Abb. S. 560;
Verlag der Buchhandlung Richard Lanyi, Vienna, um 1917-1920 (Postkarte);
Die Aktion, Berlin, 2 September 1916, Bd. 6, Nr. 35/36, S. 487;
Die Aktion, Berlin, circa 1916 (Postkarte)
Neben dem umfangreichen Corpus seiner erotischen Aktdarstellungen und expressiven Selbstbildnisse – das gemeinhin und auch zurecht mit dem so bahnbrechenden Schaffen Egon Schieles assoziiert wird – rückt seit etwa 1910 auch die künstlerische Beschäftigung mit Kindern, ja sogar Neugeborenen in den Bannkreis seines Interesses. Ein Teil dieser auch heute so faszinierenden, bisweilen auch verstörend wirkenden Werke wurde umso mehr auch von den Wiener Zeitgenossen des Künstlers als hochproblematisch, wenn nicht sogar als regelrechter gesellschaftlicher Tabubruch angesehen und führte letztlich auch zu Egon Schieles temporärer „Emigration“ nach Krumau und kurzzeitigen Inhaftierung im niederösterreichischen Neulengbach. „Durch Monate war er damit beschäftigt, Proletarierkinder zu zeichnen und zu malen. Ihn faszinierten die Verwüstungen der schmutzigen Leiden, denen diese an sich Unschuldigen ausgesetzt sind … staunend sah er auch die lichtscheuen grünen Augen hinter rot entzündeten Lidern, die verskrofelten Handknochen … und – die Seele in diesen schlechten Gefäßen“ . Nicht zuletzt erzählen auch diese heute ikonischen, manchmal traurig-hilflosen zeichnerischen Zeitdokumente eindringlich von der Entfremdung des Menschen von der Gesellschaft am Vorabend des so katastrophal einsetzenden Zerfalls der alten europäischen Ordnung und sind „…eine Allegorie der Heimatlosigkeit des modernen Individuums.“
Die zweite Jahreshälfte 1915 und noch mehr das Folgejahr 1916 sind von einer durch den Militärdienst bedingten eingeschränkten Produktivität Egon Schieles charakterisiert. Die Aktzeichnung verschwindet für viele Monate fast völlig aus dem Motivspektrum und die Porträtdarstellung, insbesondere von Familienangehörigen und Kindern, bricht sich in einer neuen, besonderen Emotionalität und Einfühlsamkeit Bahn in diesen von nur spärlichem künstlerischen Schaffen geprägten Monaten .
Eine umso größere Rarität und ein äußerst persönlich gefärbtes Werk aus der Zeit ist nebenstehende reizvolle Zeichnung seines Neffen, die in ihrem unbeschwerten, spontanen Duktus nichts von dem für Egon Schiele schwierigen Kriegsjahr 1916 verrät. Das „porträtierte“ Baby Anton Peschka junior wurde 1914 als Sohn seiner Lieblingsschwester Gertrude („Gerti“) und seines engen Freundes und Studienkollegens an der Wiener Akademie, dem Maler Anton Peschka (1885-1940), geboren.
In dieser so treffsicheren, virtuosen Bleistiftzeichnung umreißt der Künstler rasch und liebevoll die wesentlichen Züge des schlafenden Kleinkindes. Das noch haarlose Köpfchen mit den geschlossenen Lidern ist friedvoll auf die Seite geneigt, die in expressivem, „schieleskem“ Gestus manieriert gespreizten Fingerchen auf sein – wohl sattes – Bäuchlein gelegt und der kleine Körper voluminös umhüllt von einem Steckkissen, dessen Stoffmuster und Faltenwürfe schwungvoll durch ein fast malerisch anmutendes Furioso aus blitz- und bogenförmigen Schraffuren dicht und dynamisch modelliert ist. „Baby mit Steckkissen“ ist ein ungewöhnliches, rares und sehr persönliches Meisterwerk dieses Bahnbrechers expressionistischer Kunst, der auch hier seine damals revolutionären Vorstellungen von Zeichnung als ureigenes, eigenständiges Ausdrucksmedium in bislang unbekannter Ästhetik bravourös verwirklicht.
Nicht ohne Grund hat Egon Schiele diese für ihn besondere Zeichnung für die Reproduktion in der bekannten politisch-literarischen Wochenzeitschrift „Die Aktion“, die für die Verbreitung des österreichischen und deutschen Expressionismus ein wichtige Rolle spielte, ausgewählt .