Sitzende Frau 1916
Bleistift auf Papier
45,2 x 28,8 cm
Signiert und datiert rechts unten: EGON SCHIELE 1916
Provenienz
Galerie Würthle, Wien;
Sammlung Rittmansberger, Wien
Ausstellung
Fondation Louis Vuitton, Paris 2018/2019
Literatur
Dieter Buchhart (Hg.), Egon Schiele, Ausstellungskatalog, Fondation Louis Vuitton, Paris 2018, S. 63, Nr. 9;
Jane Kallir, Egon Schiele. The Complete Works, New York 1990, Wkv.Nr. D 1825, m. Abb. S. 561;
Vgl.: Johann Thomas Ambrózy, Klaus Albrecht Schröder (Hg.), Egon Schiele: Das Zeichnen der Welt, Ausstellungskatalog, Albertina, Wien, München 2017
Anfang Mai 1916 kommt Egon Schiele als Schreiber in ein Gefangenenlager für russische Offiziere in Mühling im niederösterreichischen Mostviertel. Seine Vorgesetzten unterstützen seine künstlerischen Ambitionen und teilen ihm sogar einen kleinen provisorischen Atelierraum zu. Er lässt sich Farben und Malmaterial aus Wien schicken und Edith kann ihrem Mann nachfolgen. Wenngleich ihn die Gegend motivisch sehr anspricht und er auch mit seiner Frau wieder vereint ist, bewirken die vielen Unsicherheiten dieser Zeit, dass in diesem Jahr nur wenige Kunstwerke entstehen.
Eines dieser seltenen Werke des Jahres 1916 ist die Bleistiftzeichnung „Sitzende Frau“. Genau zu identifizieren ist die Dargestellte nicht, da sie ihren Kopf voll Konzentration auf den Strumpfhalter ihres rechten Beines gerichtet hat, aber gewisse Ähnlichkeiten und die private Situation in Mühling lassen den Schluss zu, dass es sich um Edith Schiele handeln könnte, die ihm Modell gesessen hat. Es geht Schiele aber nicht „um das unverwechselbare Porträt einer einzigartigen Persönlichkeit“, seine Modelle fungieren „als Stellvertreter für psychisch-soziale Zustände.“ Interessant sind der schräg oberhalb der Figur angesetzte Blickwinkel und das Fehlen jeglicher räumlicher Verortung. Die Frau sitzt gewissermaßen in der Luft. Prägnant und typisch für Egon Schiele sind auch ein Wechselspiel von Leere und Fülle, die Belebung der Binnenform kombiniert mit einer unglaublichen grafischen Leichtigkeit, sowie die Ornamentalisierung der Figur. „Schiele verschwistert symbiotisch zwei gegenläufige Gestaltungsprinzipien: das Konkrete mit der Abstraktion, die Nachahmung mit dem Ornament, das Gefühl mit der Stilisierung.“